Hilfe für Tiere in Not
Quelle: Marbacher Zeitung // Autor: Sabine Armbruster // Foto: Simon Granville // Zum Artikel
Iryna Verbivska, Alina Avdonina und Mohammed Al Dgburi sind im Februar aus der Ukraine geflohen. Dass ihre Hunde mitkommen, stand für sie außer Frage, obwohl sie sonst nur das Nötigste mitnehmen konnten. Die Tiertafel Ludwigsburg/Heilbronn hilft den Flüchtlingstieren.
KREIS LUDWIGSBURG. Das Bild, das Mohammed Al Dgburi beim Besuch in der Redaktion unserer Zeitung vorzeigt, geht direkt ins Herz. Seine Frau Alina Avdonina hat es irgendwo unterwegs auf der Flucht vom ukrainischen Charkiw über Polen bis nach Ludwigsburg mit dem Smartphone gemacht. Er liegt, in eine warme Jacke gekleidet, schlafend auf dem zurückgeklappten Fahrersitz des Autos. Auf seinem Bauch hat sich ein rotbrauner, wuscheliger Zwergspitz zusammengerollt und schläft ebenfalls.
Ein Bild, das zeigt, wie eng die Bindung zwischen Mensch und Hund ist. Und das ebenso deutlich macht, warum weder Al Dgburi noch Avdonina die Flucht ohne ihre beiden Hunde angetreten hätten. „Ich hätte die Tiere nie verlassen können“, sagt Alina Avdonina. „Wir sind wie eine Familie.“
Und dennoch: Dass sie die beiden Fellknäuel, den achtjährigen Jonny und dessen Sohn, den vierjährigen Tedy, mitnehmen konnten, war ein enormes Glück. Denn als sie am 26. Februar, nur mit dem Nötigsten in einer kleinen Tasche ausgerüstet, in ihrer Heimatstadt ins Auto stiegen und losfahren wollten, sprang dieses nicht an. Warum, wissen sie nicht. „In der Nähe ist eine russische Rakete eingeschlagen, vielleicht war das die Ursache“, mutmaßt die junge Frau.
Freunde, die zwei Autos hatten, liehen ihnen eines davon, wofür sie unglaublich dankbar sind. Denn, so erzählt Avdonina: „Im Bus durfte man keine Tiere mitnehmen.“ Deshalb hätten viele Flüchtende ihre Lieblinge schweren Herzens zurückgelassen und sie, sofern möglich, bei Freunden und Verwandten untergebracht. Eine weitere Sorge, die viele Tierbesitzer umgetrieben habe, sei gewesen, mit Katze oder Hund unterwegs keine Unterkunft zu bekommen und auch im Ausland kein Geld für Tierfutter zu haben.
Deshalb seien am Anfang viele herrenlose Tiere durch die Stadt geirrt. Jetzt seien dort praktisch keine mehr. „Die Russen haben sie getötet“, glaubt die junge Ukrainerin. „Ein paar haben sich vielleicht vor lauter Angst auch versteckt.“ Allerdings gebe es inzwischen auch Freiwillige, die versuchten, die zurückgelassenen Tiere über Polen aus dem Land zu bringen. Denn Tierheime gebe es dort inzwischen keine mehr.
Wo sie nach ihrer gefährlichen Flucht mit Raketenbeschuss letzten Endes landen würden, wussten die beiden nicht, aber es spielte auch keine Rolle für sie. „Hauptsache, ein Bett und eine Unterkunft, wo die Hunde erlaubt sind.“ Eigentlich dachten sie, sie könnten ins benachbarte Polen fliehen und dort das baldige Ende des Krieges abwarten. Dass der so lange dauern würde, damit hat keiner von ihnen gerechnet. Und jetzt? „Wir haben in einer schönen Gegend gelebt; jetzt ist alles kaputt; trotzdem leben noch Menschen dort.“ Letzten Endes führte die Flucht sie über Polen nach Ludwigsburg, wo sie heute in einer Anschlussunterbringung leben.
Dort haben nicht nur Frauchen und Herrchen das ersehnte Bett. Auch Tedy und Jonny können es sich in zwei kuscheligen Körbchen gemütlich machen, haben alle notwendigen Impfungen bekommen und brauchen auch nicht zu hungern. Zu verdanken haben die Vierbeiner das der Tiertafel Ludwigsburg/ Heilbronn, einem gemeinnützigen Verein, der Tierhalter unterstützt, die nicht mehr selbst für Futter- oder Tierarztkosten ihrer Lieblinge aufkommen können. „Aktuell betreuen wir acht ukrainische Tierhalter mit acht Hunden und drei Katzen“, berichtet Bettina Reichel, die Erste Vorsitzende des Vereins. Insgesamt würden derzeit rund 70 Tiere von bedürftigen Haltern mit allem Notwendigen versorgt. In erster Linie Katzen und Hunde, aber auch drei Vögel und drei Meerschweinchen seien darunter, so Reichel.
Auch Iryna Verbivska ist mit ihrem Hund Nigel auf der Flucht aus dem ukrainischen Tscherkassy im Landkreis Ludwigsburg gelandet und wohnt heute in Kornwestheim. Nigel ist ein Staffordhire Bullterrier und ein sanftmütiger Schmusebär, der das schlechte Image der Rasse Lügen straft. Ohne ihn zu fliehen, wäre für Verbivska ebenfalls unvorstellbar gewesen. Mit ihrer Mutter und ihrer Oma, deren beiden Katzen und Nigel war sie zunächst nach Moldawien geflohen. „Aber dort gab es keine Arbeit und kein Geld, deshalb bin ich nach Deutschland geflogen und habe gefragt, ob unsere Tiere auch mitkommen dürften“, erzählt die junge Frau, die fließend Deutsch spricht und deshalb inzwischen als Dolmetscherin im Ludwigsburger Rathaus arbeitet. Zum Glück habe man das bejaht. „Sonst wäre ich wieder zurückgegangen.“ So jedoch sind Mutter und Oma samt Katzen nachgekommen.
Durch Zufall ist Iryna Verbivska auf die Tiertafel gestoßen, die ihr in der Anfangszeit geholfen hat. Heute ist sie nicht mehr darauf angewiesen. Nun stellt sie den Kontakt zu Landsleuten her, die nicht wissen, wie sie hier das Geld für ihre Lieblinge aufbringen sollen. „Aber die Telefonnummer der Tiertafel bekommen nur die, von denen ich weiß, dass sie in Not sind“, betont sie. Und die sind, wie Mohammed Al Dgburi und Alina Avdonina, unendlich dankbar für die Hilfe.